Demokratisches


„Morakot“ und Taiwans politischer Taifun


Premier Liu Chao-shiuan (劉兆玄) trat am 10. September mit seinem gesamten Kabinett zurück, um die politische Verantwortung für die schleppende Katastrophenhilfe nach dem verheerenden Taifun „Morakot“ (莫拉克) von Anfang August zu übernehmen (Taipei Times, China Post). Insbesondere in Süd-Taiwan waren mehrere Hundert Menschen durch Erdrutsche ums Leben gekommen, bei dem auch ein ganzes Dorf verschüttet wurde. Geschwindigkeit und Umfang der Katastrophenhilfe waren auf starke Unzufriedenheit der Betroffenen gestoßen.


So hatte der stellvertretende Außenminister Andrew Hsia (夏立言) schon am 18. August seinen Rücktritt eingereicht, da das Außenministerium in der ersten Woche nach dem Taifun ausländische Hilfsangebote außer Geldspenden ausgeschlagen hatte (Taipei Times, China Post). Nachfolger Lius wurde Wu Den-yih (吳敦義), bisher Vize-Chef und Generalsekretär der KMT mit Erfahrung als Magistrat des zentraltaiwanesischen Kreises Nantou und Bürgermeister von Kaohsiung. Stellvertretender Ministerpräsident wurde Eric Chu (朱立倫), Magistrat des Kreises Taoyuan, eine der jüngeren Nachwuchs-hoffnungen der KMT.


Nach Lius Angaben hatten 80-90% der obdachlos gewordenen Opfer finanzielle Unterstützung von der Regierung erhalten, 92% wurden vorübergehend in Kasernen oder Behördengästehäusern untergebracht. Das Parlament habe inzwischen auch ein „Morakot Reconstruction Special Act” (Sondergesetz zum Wiederaufbau nach Morakot, 莫拉克颱風災後重建特別條例) verabschiedet. Der Wechsel an der Spitze der Regierung wird allgemein auch als Versuch gewertet, die zuletzt stark angeschlagene Popularität der KMT-Regierung zu verbessern.

 

Zu Präsident Mas politischen Schwierigkeiten kommen der Besuch des Dalai Lama hinzu, der von 7 Bürgermeistern und Kreisvorstehern aus von der DPP regierten Regionen eingeladen wurde, die sich vor allem im Süden, in der vom Taifun am stärksten betroffenen Region befinden (China Post, Taipei Times). Die Einladung war auch Ausdruck des tiefen Misstrauens des DPP-Lagers gegenüber der Ma-Regierung, der vorgeworfen wird, Besuche des Dalai Lamas und chinesischer Dissidenten – die in der Vergangenheit schon mehrfach stattgefunden hatten - aus Rücksicht auf China zu blockieren. Diesmal war es der Regierung innenpolitisch nicht möglich, den Besuch zu verhindern, u. a. weil der Dalai Lama den Taifunopfern im stark buddhistisch geprägten Taiwan Trost spenden wollte.


Auf der anderen Seite der Taiwan-Straße sind Besuche des Dalai Lama in Taiwan Tabu, aus welchen Gründen auch immer sie stattfinden. Entsprechend heftig fiel auch die Reaktion aus. Schon setzen KMT-Abgeordnete Präsident Ma unter Druck, mit den geplanten Wirtschaftsvereinbarungen mit China endlich voranzukommen, die nach eineinhalbjähriger Amtszeit noch nicht abgeschlossen sind.


Eine Zwickmühle zwischen Annäherung an China, innenpolitischen Rücksichtnahmen und der Aufrechterhaltung demokratischer Werte. Und zum Jahresende erwartet die Parteien zur Halbzeit von Mas Amtsperiode die Wahl vieler Bürgermeister und Kreisvorsteher, jetzt schon als „mid-term exam“ (期中考) bezeichnet. Es bleibt spannend in Taiwan.

Günter Whittome, Taipeh

Chen Shui-bian (Foto: wikipedia.org)
Chen Shui-bian (Foto: wikipedia.org)

Ex-Präsident Chen Shui-bian zu lebenslanger Haft verurteilt

 

Ex-Präsident Chen Shui-bian und seine Frau Wu Shu-chen sind in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteilt wegen Vorteilsnahme beim Kauf von Land für den Hsinchu Science Park. Weitere Vertraute und Familienmitglieder wurden zu teilweise langjährigen Haftstrafen und/oder hohen Geldstrafen verurteilt. Chens Anwälte kündigten Berufung wegen „ungenügender Beweislage“ an. Die Staatsanwälte kündigten die Berufung an wegen der „Unverhältnismäßigkeit“ in der hohen Strafe für Chens Schwiegertochter und niedriger für den ehemaligen Vertrauten Tsai Ming-che. Es besteht Unklarheit, ob Chen bis zu einem rechtskräftigen Urteil inhaftiert bleibt. Die Frage, ob gegen den Grundsatz des „gesetzlichen Richters“ verstoßen wurde, bleibt weiterhin strittig.