Geschichtliches - Taiwan

 

Augenblicke in der Geschichte Taiwans

 

Gerade einmal vier Jahrhunderte währt die Geschichte Taiwans. Was weiter zurückliegt zählt zur Vor- und Frühgeschichte. Diese 400 Jahre haben es jedoch in sich, denn sie stecken voller dramatischer Ereignisse. Kaum eines von diesen ist in Deutschland allgemein bekannt, und viele kennen sogar die meisten Taiwaner nicht. An solche Ereignisse in der Geschichte Taiwans sollen regelmäßige Notizen erinnern, ohne jede Systematik allerdings.


Teil 6 – Der erste Staat auf Taiwan
Natürlich gibt es Bilder, die diesen Mann zeigen –halbwegs authentische oder ganz fiktive: Cheng Ch'eng-kung. In der chinesischen Tradition hat die Kunst des Porträts nie eine solche Bedeutung gewonnen wie in der europäischen. Viel genauer, meinen manche, zeige die Handschrift, in der künstlerischen Form der Kalligraphie, das Wesen eines Menschen.
Derb, aber auch kraftvoll nehmen sich die Schriftzeichen in der abgebildeten Kalligraphie aus. Der Pinsel war tuschegesättigt, die feineren Linien sind nur Zwischenstriche. Kräftig wurde der Pinsel meistens auf die Seide gesetzt, und mit ebenso kräftigem Nachdruck wird er am Ende jeden Schriftzeichens wieder abgesetzt: unruhig erscheint das ganze Schriftbild, und manche von den Rundstrichen passen nicht recht zu dem sonstigen Duktus der Zeichen.

Cheng Ch'eng-kung (Koxinga)
Cheng Ch'eng-kung (Koxinga)

Dieser Cheng Ch'eng-kung war offenbar ein Mann in seinem Widerspruch. Er wurde am 28. August 1624 im japanischen Hirado geboren, als Sohn einer Halbjapanerin und eines chinesischen Marineoffiziers und späteren Piraten. 1630 zieht er mit seinen Eltern nach China zurück, begibt sich 1644 in die Südhauptstadt, Nanking, der chinesischen Herrscherdynastie Ming (1368-1644), um sich dort klassischen Studien zu widmen.

 

Damals bestand die Ming-Dynastie eigentlich schon nicht mehr. Das Steppenvolk der Mandschu hatte China überrannt und die neue Dynastie Ch'ing (1644-1911) ausgerufen. Nur in manchen Gegenden im Süden leisteten noch Anhänger der Ming Widerstand, die sogenannten Loyalisten.

 


In Nanking wird der junge Mann einem Mitglied des Ming-Herrscherhauses vorgestellt und erklärt, daß er für dieses kämpfen wolle. Der gibt ihm einen neuen persönlichen Namen, unter dem er in China bekannt wurde, nämlich Ch'eng-kung, „der Erfolgreiche“. Er gewährt ihm ebenfalls, nicht selten in China, statt des eigenen Familiennamens Cheng den des Ming-Herrscherhauses, das den Familiennamen Chu hatte, zu führen.

Kalligraphie von Cheng Ch'eng-kung
Kalligraphie von Cheng Ch'eng-kung

Aus diesem Privileg leitete sich die Ehrenbezeichnung kuo-hsing-ye ab, „der Herr mit dem Familiennamen des Staates (d.h. des Herrscherhauses)“. In südchinesischen Dialekten lautete diese ehrenvolle Bezeichnung kok-sing-ya, und aus der wurde in Europa Koxinga. Der Mann, der die abgebildete Kalligraphie schuf, sollte in Europa bald gefürchtet werden.
Bis dahin verging aber noch einige Zeit. Eines der wichtigsten Daten auf diesem Wege war der 30. April 1661. Mit mehr als 900 Kriegsdschunken und 25.000 Mann landete Cheng Ch'eng-kung auf Taiwan, damals in holländischer Hand.


Als er schon am 23. Juni 1662 starb, hatte er auf Taiwan die Grundzüge eines damals modernen Staatswesens geschaffen. Mit einem Begriff des 20. Jahrhunderts ließe es sich als „Entwicklungsdiktatur“ bezeichnen. In den Zeiten der Chiang-Herrschaft auf Taiwan, denen des Kriegsrechts also, wurde dieses "Herrn mit dem Staatsnamen" oft gedacht: ein Vorgänger in vieler Hinsicht.


Prof. Dr. Hans Stumpfeldt